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Gliederung

 

 

 

1. Was ist "Handlungsorientierter Unterricht"?...............3

1.1. Einleitung......................................................3

1.2. Wogegen wendet sich "Handlungsorientierter Unterricht"?.........4

1.3. Merkmale........................................................5

 

2. Historische und systematische Begründbarkeit...........7

2.1. Historisches Umfeld des Handlungsorientierten Unterrichts........8

2.2. Systematische Begründungsversuche..........................10

2.3. Kritik.........................................................12

 

Anhang: Literaturverzeichnis

 
 

 
 



1. WAS IST "HANDLUNGSORIENTIERTER UNTERRICHT"?

1.1. Einleitung

Seit der Mitte der sechziger Jahre wird die didaktische Diskussion der BRD von zwei Modellen beherrscht: die Bildungstheoretische Didaktik (vertreten z. B. durch Erich Weniger, Wolfgang Klafki und Herwig Blankertz) und die Lern- bzw. Lehrtheoretische Didaktik ("Berliner" bzw. "Hamburger Modell"; nach Paul Heimann, Günter Otto und Wolfgang Schulz). Dazu kommen verschiedene Konzepte, die jeweils einen Aspekt der komplexen institutionalisierten Lehr-Lernprozesse hervorheben und ihre Theorie darauf konzentrieren, so z. B. in der Lernzielorientierung, dem erfahrungsbezogenen Unterricht oder der informationstheoretischen Grundlegung, außerdem (als 3. Modell neben den beiden oben genannten) dialektisch-marxistisch orientierte Ansätze (z. B. nach Lothar Klingberg), die aber seit der Auflösung der sozialistischen Gesellschaftsformen in Osteuropa kaum noch Beachtung finden. Das für die praktische Unterrichtsgestaltung relevante Theoriewissen und die konkreten Unterrichtsrezepte der heute tätigen Lehrer leitet sich also, sofern dies überhaupt in nennenswertem Maße geschieht, aus diesen verschiedenen theoretischen Entwürfen ab.

Eine intensive Beobachtung der Unterrichtswirklichkeit zeigt, daß die einschlägigen didaktischen Theorien bisher nicht in der Lage waren, die hartnäckigen Probleme des schulischen Alltags, von denen Lehrer wie Schüler abendfüllend berichten können, zu lösen. Hinzu kommt, daß auch die Diskussion um berufsvorbereitende oder die "Studierfähigkeit" sicherstellende Bildung und adäquate Abschlüsse, die ebenfalls von Argumenten aus den oben angeführten Theorien dominiert wird, zu noch keinem befriedigenden Ende kommen konnte. Die Fragen und Probleme, auf die eine didaktische Konzeption Antworten finden muß, bleiben virulent.

Hilbert Meyer konstatiert dieses Mißverhältnis von didaktischer Theorie, die beansprucht, eine sachgerechte Planung, Durchführung und Analyse von Unterricht zu ermöglichen, und unterrichtlicher Praxis und führt dies vor allem darauf zurück, daß es sich bei allen traditionellen didaktischen Entwürfen um "Feiertagsdidaktiken" handelt, also um praxisferne Theorie "aus dem Elfenbeinturm". Meyer entwirft deshalb ein Konzept Handlungsorientierten Unterrichts, das als "konkrete Utopie" die oben diagnostizierten Defizite zu verringern sucht. Hierbei geht es ausdrücklich um ein Unterrichtskonzept (und nicht um ein "didaktisches Modell"), denn Hilbert Meyer liegt mehr an einer praxisnahen "Gesamtorientierung didaktisch-methodischen Handelns" als an einer wissenschaftstheoretisch fundierte Theorie, die mit dem Anspruch auftritt, allumfassend zu sein.

Wenn auch ein Rest normativ gesetzter Annahmen und Forderungen bleiben mag, kann Handlungsorientierter Unterricht trotz allem in bestimmte pädagogische Theorietraditionen eingebettet und auch theoretisch begründet werden. In dieser Arbeit soll der Handlungsorientierte Unterricht nach Hilbert Meyer vor allem aus der Perspektive seiner Begründbarkeit und seines historischen Umfeldes dargestellt werden.

1.2. Wogegen wendet sich Handlungsorientierter Unterricht?

Meyer hat konkrete Aspekte der Unterrichtsplanung und Unterrichtswirklichkeit vor Augen, gegen die sich sein Konzept richtet. Zunächst wird unter dem Begriff "Langeweile-Syndrom" das Phänomen erfaßt, daß Schülerinen und Schüler ihren Unterricht häufig als "zu langweilig" einschätzen (und tatsächlich häufig unter sichtbarer schulischer Langeweile leiden), während Lehrer eher über Streß, Hektik und Unruhe klagen (und unter diesen Belastungen ebenso sichtbar leiden). Zwischen diesen beiden subjektiven Einschätzungen des Schulalltags besteht eine Wechselwirkung, beide Probleme verstärken sich gegenseitig. Meyer führt diesen Sachverhalt auf verschiedene Ursachen zurück: Unterricht wird meist lehrerzentriert, verkopft und methodisch monoton durchgeführt. Die Langeweile bewegt Schülerinnen und Schüler dazu, sich (oft mit geradezu faszinierender Kreativität) Nebentätigkeiten zuzuwenden.

Darüberhinaus will ein Konzept Handlungsorientierten Unterrichts auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen reagieren, z. B. sind "die Orientierungsangebote der Gesellschaft diffus, maßlos und dadurch oft auch überfordernd geworden".

1.3. Merkmale

Im Mittelpunkt des Konzepts steht eine Vorstellung von vernünftigem, sinnvollen und zielgerichtetem Handeln. Unterricht soll den Lernenden Handlungskompetenzen vermitteln, die es ihnen ermöglichen, emanzipiert und verantwortlich zu handeln. Ebenso sollen Möglichkeiten und Anlässe geschaffen werden, erworbene Handlungskompetenzen sinnvoll und in Anlehnung an die außerschulische Lebenswelt einzusetzen, auszuprobieren und zu erweitern. Nun reicht es aber nicht, eine psychologische Theorie der individuellen Bewußtseinsentwicklung auf die Struktur langfristiger Unterrichtsreihen bzw. einzelner Stunden gleichsam anzuwenden, denn solche rein deskriptive Theorien vernachlässigen andere Faktoren des Unterrichtsgeschehens, wie z. B. die Dialektik von Lehren und Lernen oder die institutionellen Rahmenbedingungen. Selbstredend spielen entsprechende psychologische Ansätze (z. B. von Piaget, Aebli oder Wygotski) eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des Handlungsorientierten Unterrichts.

Meyer definiert nun Handlungsorientierten Unterricht folgendermaßen:

"Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und schüleraktiver Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer/der Lehrerin und den SchülerInnen vereinbarten Handlungsprodukte die Gestaltung des Unterrichtsprozesses leiten, so daß Kopf- und Handarbeit der SchülerInnen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden können."

Ich möchte nun einige zentrale Merkmale und von Handlungsorientiertem Unterricht im einzelnen erläutern. Zunächst fordert Meyer, der Unterrichtsplanung ein bestimmtes Selbstverständnis von Schülern und Lehrern zugrundezulegen. Beide "Parteien" sollen an der Gestaltung eines aktiven Schullebens teilnehmen, und der soziale und geographische Ort "Schule" soll so zu einem kreativen Lebensraum werden - und nicht bloß Lernfabrik sein. Insbesondere ist Handlungsorientierter Unterricht schüleraktiv konzipiert, woraus sich zwei konkrete Kriterien ableiten lassen: "1. Im Handlungsorientierten Unterricht sollen die subjektiven Schülerinteressen zum Bezugspunkt des Unterrichts gemacht werden" und 2. "sollen die Schüler zum selbständigen Handeln ermuntert werden". Für die Institution Schule bedeutet dies, daß sie sich gegenüber ihrem Umfeld öffnen muß, und zwar in zweifacher Weise: Die "Außenwelt" soll in die Schule einbezogen werden (konkret z. B. durch Elternbeteiligung, Besuche von Fachleuten und Politikern usw.), und der Schulalltag soll zu einem Teil außerhalb des geographischen Ortes Schule stattfinden, z. B. auf Erkundungsgängen, Besichtigungen, Erholungsfahrten oder durch Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen in Kultur, Politik, Sport usw.).

Das zentrale Merkmal Handlungsorientierten Unterrichts liegt in der Orientierung am vereinbarten Handlungsprodukt. In dem Ausdruck "vereinbartes Handlungsprodukt" müßte eigentlich jedes Wort einzeln mehrmals unterstrichen und betont werden, denn es geht 1) um ein Ziel, das durch einen demokratischen Diskurs beschlossen wurde und von (möglichst) allen mitgetragen werden kann, 2) um ein fertigzustellendes Produkt (im weitesten Sinne), das als Ziel der Unterrichtsarbeit fungiert und schließlich 3) um ein Produkt, das durch aktive und kreative Mitarbeit (wiederum möglichst) aller, durch Handeln in Form von Kopf- und Handarbeit fertiggestellt wird. Diese beiden Aspekte von Arbeit, nämlich "Denken" und "(Hand-) Arbeit" gehören, so stellt Meyer fest, untrennbar zusammen und sind gleichsam zwei Seiten derselben Medaille. Bei der Unterrichtsplanung sollten deshalb beide die ihnen gemäße Berücksichtigung finden. Wie schon oben erwähnt versteht Meyer unter dieser Art von "Handeln" und "Arbeit" immer zielgerichtetes, sinnvolles und letztlich rational geleitetes Tun (allerdings soll dabei auch dem "Herz", den Emotionen ihr angemessener Platz zugebilligt werden). Meyer distanziert sich ausdrücklich von einem bloß emphatischen Gebrauch des Handlungsbegriffs, bei dem jedes Schülerhandeln per se schon als pädagogisches Gütekriterium gilt. Die verfertigten Handlungsprodukte sollten weitere Rollen im Leben der Schüler spielen können, z. B. im Rahmen von Veröffentlichung/Ausstellung/Vorführung oder als Spiel- bzw. Lerngegenstand.

Für die konkrete Gestaltung des Unterrichts nach Meyers Konzept muß die übliche Unterrichtsorganisation weitgehend aufgegeben werden. Allerdings fordern Meyer und Jank nicht, "daß der gesamte Unterricht an Regelschulen in Zukunft handlungsorientiert erfolgen sollte". Stattdessen soll jeder Schulmorgen in drei Blöcke unterteilt werden: in einer ersten Phase kann lehrgangsmäßig und ähnlich wie bisher Fachunterricht erteilt werden. Obwohl hier der Frontalunterricht vorherrschen darf, können handlungsorientierte Phasen, z. B. in Gruppen-, Partner- und Einzelarbeit, eingerichtet werden. Darauf folgt die Phase der Freiarbeit, die sich an den Ideen der Montessori- und Freinet-Pädagogik orientiert. Lehrer und Schüler vereinbaren hier Lernaufgaben, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erledigt werden müssen, wobei die Schüler allerdings selbständig Planung, Organisation und Kontrolle der Arbeit durchführen. Hier sind schon viele Aspekte von Handlungsorientiertem Unterricht verwirklicht. Die letzte und genuin handlungsorientierte Phase ist die Projektarbeit, in der die Schüler selbständig Handlungsprodukte vereinbaren, herstellen und benutzen können. Der Lehrer oder die Lehrerin überläßt Planung und Organisation wiederum weitgehend den Schülern, steht aber als eine Art supervisor und "Retter in der Not" zur Verfügung. Seine oder ihre Arbeit besteht hauptsächlich in Vorbereitung, impulsgebender Leitung des Plenums, in dem Handlungsprodukte vereinbart und Arbeiten organisiert werden und kritischer Begleitung. Es ist offensichtlich, daß die zweite und dritte Phase den Rahmen herkömmlichen Fachunterrichts sprengen, da hier fächerübergreifend unterrichtet wird.

 

2. HISTORISCHE UND SYSTEMATISCHE BEGRÜNDBARKEIT

Nachdem nun der Entwurf eines Konzeptes Handlungsorientierten Unterrichts kurz dargestellt worden ist, soll im zweiten Teil der Arbeit nach Begründungsmöglichkeiten dieses Konzeptes gefragt werden. Zunächst wird das historische Umfeld beleuchtet, denn die Ideen des Handlungsorientierten Unterrichts sind natürlich nicht erst in den 80er Jahren vom Himmel "in Meyers Schoß" gefallen).

2.1. Historisches Umfeld des Handlungsorinetierten Unterrichts

Im zweiten Abschnitt des 9. Kapitels des Buches "Didaktische Modelle" versuchen die Autoren das Konzept Handlungsorientierter Unterricht in eine pädagogische Theorietradition einzubetten. Sie wollen zeigen, daß sich "das heute diskutierte Konzept des Handlungsorientierten Unterrichts... auf ein enges Netz von theoretisch und praktisch bedeutsamen Vorläufern beziehen" kann. Es zeigt sich allerdings, daß es keine homogene Tradition Handlungsorientierten Unterrichts gibt, da die diversen Vorläufer von verschiedenen philosophischen Voraussetzungen und Idealen ausgehen und zu ebenso verschiedenen Ergebnissen gelangen. So verweisen die Autoren auf die Möglichkeit, in der nationalsozialistischen Pädagogik (z. B. bei der Arbeit in der Hitler-Jugend) ein Moment von "Handlungsorientierung" auszumachen.

Für pädagogische Klassiker wie Johann Amos Comenius, Jean Jacques Rousseau und Johann Heinrich Pestalozzi war es sozusagen selbstverständlich, daß "Bildung" die Entfaltung des ganzen Menschen umfaßt - und nicht bloß das "Eintrichtern" kognitiven Wissens. Pestalozzi hat auch die von Meyer immer wieder beschworene Formel "Lernen mit Kopf, Herz und Hand" (also unter Einbeziehung des Verstandes, des Gefühlslebens und der Sinne bzw. des Körpers) zuerst formuliert. Jank und Meyer nennen in einer Übersicht die wichtigsten Vorläufer in der philosophischen bzw. pädagogischen Theorietradition:

-Pestalozzi, Comenius, Rousseau

-Karl Marx, der die Versöhnung von Kopf- und Handarbeit in gesellschaftlichen Arbeitsprozessen fordert

-kognitionspsychologische Ansätze von Piaget und Aebli

-Reformpädagogik und deren Tradition

Zu der letzten Gruppe gehören als Wegbereiter des Handlungsorientierten Unterrichts im 20. Jahrhundert insbesondere Célestin Freinet, Maria Montessori und Peter Petersen.

Célestin Freinet (1896-1966) geht es um ein solidarisches und demokratisches Arbeiten in der Klassengemeinschaft (den Lehrer bzw. die Lehrerin einbezogen) und die Einbeziehung der Umwelt in schulisches arbeiten, so z. B durch Erkundungsgänge außerhalb der Schule.

Maria Montessori hat zunächst eine Methode und entsprechende Materialien zur besseren Förderung geistig behinderter Kinder entwickelt. Später hat sie dieses Modell auch auf die Erziehung normalbegabter Kinder übertragen. Dabei geht es insbesondere um Unabhängigkeit und Selbsttätigkeit der Kinder.

Peter Petersen (1884-1952) ist Erfinder des "Jena-Plans", einem didaktischen Konzept, das von ihm, seiner Frau und mehreren Kollegen an der Versuchsschule der Universität Jena entwickelt und praktiziert worden ist. Dort war Petersen von 1924-1950 Professor für Erziehungswissenschaft. Wie Montessori durchbricht auch Petersen die Aufteilung der Schüler in Jahrgangsgruppen, d. h. Schülerinnen und Schüler verschiedener Jahrgänge werden gemeinsam unterrichtet. Beide verzichten auch auf einen festen Stundenrhythmus zugunsten von flexiblen und von den Schülerinnen und Schülern mitgestalteten Arbeitsplänen.

Neben Hugo Gaudig, Otto Haase und Adolf Reichwein führen Jank und Meyer Johannes Langermann als reformpädagogischen Zeugen ihres Konzeptes an. Langermann war auch der erste, der den Begriff "handelnden Unterricht" als Name für ein Unterrichtskonzept verwendete. Er stellt fest, daß Kinder nur solange lernen wollen, wie das Lernen zum Spielen notwendig ist. Da das Spiel die Form des Handelns und Schaffens ist, die der Natur des Kindes angemessen ist, fordert Langermann, das Lernen aus dem Spiel zu entwickeln. Er hat viele Beispiele von "handelndem Unterricht" in der Praxis erprobt und in der Literatur festgehalten.

Hier muß allerdings auch erwähnt werden, daß es dem Konzept von Handlungsorientierten Unterricht entgegenlaufende Theorietraditionen gibt, z. B. Wilhelm von Humboldts Forderung nach zweckfreier Bildung und nach einer Trennung von Berufs- und Allgemeinbildung, oder auch das Formalstufenmodell der Herbartianer, dessen Nachwirkung heute noch in der Omnipräsenz des lehrergeleiteten und -zentrierten Frontalunterrichts sichtbar ist.

Die Tradition "handlungsorientierten" oder "handelnden" Unterrichts reicht zwar bis ins 17. Jahrhundert zurück, ist aber schillernd und divergent. Deshalb reicht ein pauschaler Verweis auf diese Tradition nicht aus. Eine konkrete Darstellung der Gründe und Ziele einer Entscheidung für dieses Konzept ist nötig, um seinen Einsatz zu rechtfertigen. Eine Analyse der verschiedenen Vorläufer zeigt dann, daß "handlungsorientierter Unterricht... nur als ein ganzheitlicher und fächerübergreifender, soziales Lernen einschließender Unterricht denkbar" ist.

2.2. Systematische Begründungsversuche

Neben diesen (von den Autoren selbst vorgeführten) historischen Herleitungen gibt es Argumentationen, um Handlungsorientierter Unterricht aus verschiedenen pädagogischen Teildisziplinen heraus systematisch zu begründen. "Begründung" kann hier immer nur heißen, möglichst fundierte und überzeugende Überlegungen der Teilbereiche als Argumente für den Einsatz Handlungsorientierter Unterrichtsmethoden anzubringen. Letztlich, so gestehen Jank und Meyer ein, sind alle Unterrichtskonzepte "von vornherein normativ... und präskriptiv...: sie beschreiben, wie sich ihre Erfinder guten Unterricht vorstellen".

Ich möchte die Argumente, die man für Handlungsorientierter Unterricht finden kann, in anthropologische, bildungstheoretisch-soziologische, lerntheoretische und unterrichtspraktische aufteilen. Diese Systematik funktioniert natürlich nicht streng disjunktiv, z. B. kann Meyers Kritik am "Langeweile-Syndrom" als Konsequenz anthropologischer Annahmen wie "der Mensch ist neugierig und möchte tätig werden" angesehen werden, aber auch als triviale Kritik an der Unterrichtspraxis mit der Feststellung, daß Unterricht unangenehm und belastend für alle Beteiligten ist und daß es so nicht weitergehen kann.

Anthropologische Begründungsversuche beziehen sich auf das bestimmte Menschenbild, das Meyer seinem Konzept zugrundelegt. Meyer unterstellt dem Menschen die Freiheit, sich entweder für vernünftiges, kreatives und produktives Handeln zu entscheiden - oder auch Wege der Selbstzerstörung zu gehen. Außerdem sieht Meyer die Neugierde, die Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen und ganzheitliches Tätigsein ("mit Kopf, Herz und Hand") als dem Menschen wesentliche Charakteristika an.

Bildungstheoretisch-soziologische Begründung erfährt Handlungsorientierter Unterricht hauptsächlich durch die Feststellung, daß sich das gesellschaftliche Umfeld von (schulischem wie außerschulischen) Lernen grundlegend gewandelt hat und traditionelle Modelle und Konzepte, die von Voraussetzungen früherer Zeiten ausgehen, deshalb nicht mehr ausreichen. Erscheinungen von gesellschaftlichem und pädagogisch relevantem Wandel sieht man in der Rede von der "postmodernen Gesellschaft", den ständigen Klagen über "Werteverfall" und der Vorstellung vom "Lernen in der Risikogesellschaft" und der "Welt, in der wir uns zu Tode amüsieren". Ein verändertes gesellschaftliches Selbstverständnis wird sicher andere pädagogische und didaktische Modelle hervorbringen, und eine materialiter veränderte Lern- und Lebenswelt wird andere Unterrichtsmethoden erfordern.

Aus der Perspektive der Lerntheorie erscheint Handlungsorientierter Unterricht wünschenswert, weil Lernen an konkreten Gegenständen, unter Einbeziehung des ganzheitlichen Menschen (und nicht bloß der "reinen" Vernunft eines gleichsam körperlosen Engels) zum einen "realistischer" ist und somit eher zum Aufbau lebensweltlich relevanter Kompetenzen beiträgt, zum anderen aber auch effizienter hinsichtlich vertiefenden Aufnehmens und langfristigen Behaltens ist.

Unterrichtspraktisch schließlich läßt sich die gesamte Kritik an der bestehenden Unterrichtswirklichkeit (wie ich sie eingangs kurz formuliert habe) als Argument für alternative Unterrichtskonzepte anführen, insbesondere dann, wenn Handlungsorientierter Unterricht als eine differenzierte Antwort auf die Analyse der konkreten Schwierigkeiten im Schulalltag konzipiert wird. Meines Erachtens leisten Jank und Meyer dies in den Abschnitten 1 und 5 des 9. Kapitels der Didaktischen Modelle.

2.3. Kritik

Eine Beurteilung des Konzeptes aus der Perspektive seiner wissenschaftlichen Begründung hängt von zwei Faktoren ab: erstens müssen die in den Argumenten angenommenen Voraussetzungen zutreffen und zweitens muß der aus ihnen gezogene logische Schluß korrekt sein. Zweifel könnte beispielsweise an der Annahme im schulpraktischen Begründungsversuch aufkommen, nämlich an der Behauptung, daß Unterricht in der heute vorherrschenden Form unhaltbar sei. Auch enthalten einige Schlüsse Schwachpunkte, so muß z. B. auf eine gesellschaftliche Veränderung nicht unbedingt mit neuen Erziehungs- und Schulkonzepten reagiert werden. Es wäre auch denkbar, gerade hier traditionelle Ideal- und Wertvorstellungen für Schule und Bildung stark zu machen.

Ich finde das Konzept Handlungsorientierten Unterrichts insgesamt überzeugend, insbesondere aufgrund der verschiedenen hier untersuchten Begründungsmöglichkeiten, die mir größtenteils schlüssig erscheinen. Im Rahmen der historischen Einordnung sprechen vor allem die Berufung auf z. T. schon erprobte Ideen der Reformpädagogik und der Bezug zu empirisch belegbaren Kognitions- und Handlungstheorien für das Konzept. Letztlich bleibt natürlich trotz aller wissenschaftlichen Begründung ein normativer Rest bei der Entscheidung für diese "konkrete Utopie": die Überzeugung, daß das Schulleben anders als bisher gestaltet werden kann und soll.